Daniela Wiemers und Julia Bauer

wiemersZukunftsweisendes Beratungskonzept der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade ausgezeichnet im FitDeH Wettbewerb „Exzellente Beratung für ein zukunftsfähiges Handwerk“
Interview mit Frau Daniela Wiemers, in ihrer Funktion als Projektleitung an der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade und Frau Julia Maxi Bauer, Leiterin des Kompetenz- und TransferZentrums FitDeH am itb im DHI e.V.
Sie beschäftigen Sie sich mit den Herausforderungen der Zukunft für Handwerksbetriebe – was hat sich in den letzten Jahren geändert?

avatar1 Frau Wiemers: Es ist für unsere Mitgliedsbetriebe allgemein schwieriger geworden, geeignete Fachkräfte und Auszubildende zu finden. Gleichzeitig sind viele Aufgaben mit höheren Voraussetzungen verbunden. Neue Technologien in den großen Gewerken wie z. B.

im Kfz-, dem Elektro- oder SHK-Handwerk erfordern ein erweitertes Kompetenz- und Qualifikationsniveau. Auch die Digitalisierung und erweiterte Dokumentationsanforderungen machen vor den Handwerksbetrieben nicht halt. Frau Bauer: Die Relevanz der strategischen Themen hat aufgrund der Beschleunigung deutlich zugenommen. Es ist für Betriebe nicht mehr möglich Zukunftsthemen nacheinander anzugehen. Der Umgang mit Fragen der strategischen Betriebsführung fordert von den Unternehmerinnen und Unternehmern viel Verständnis für die Komplexität der Themen und das bei vollen Auftragsbüchern.

Was ist die größte Herausforderung, vor der Betriebe stehen?

avatar1 Frau Bauer: Die größte Herausforderung der kommenden Jahre ist sicherlich die Bewältigung des Fachkräftemangels. Aufgrund des demografischen Wandels und der Digitalisierung verschärft sich diese Problematik weiter. Frau Wiemers: Das sehe ich auch so. Hier entscheidet sich, wie der klassische Handwerksbetrieb mit einer geringen Mitarbeiterzahl bestehen kann. Die Betriebe sind aufgefordert, aktiver auf sich als Arbeitgeber aufmerksam zu machen.

Wie versuchen Sie die Betriebe in dieser Situation zu unterstützen?

avatar1 Frau Wiemers: Das Beratungskonzept von „Reproaktiv“ versucht den Betrieben zu helfen, langfristig die Arbeitgeberattraktivität zu steigern. Wenn Mitarbeiter erleben, dass sie in einem Betrieb Aufstiegs- und Entwicklungschancen haben und auch sonst in einem guten Betriebsklima arbeiten, haben beide Seiten einen Gewinn. Dies erfordert seitens der Inhaber verstärkt Kompetenzen im Bereich der Personalentwicklung und -führung. Frau Bauer: Das Projekt hat auch einen wichtigen Beitrag zum Kompetenzmanagement – auch gewerkespezifisch – geleistet. Bei Fragen zur Personalführung muss natürlich auch klar sein, welche Kompetenzen von den Mitarbeitern erwartet werden und auf welchem Wege diese erreicht werden können.

Wie haben Sie versucht, den Ansatz der reproaktiven Beratung umzusetzen? – Was war ihre Idee?

avatar1 Frau Wiemers: „Beratung Reproaktiv“ ist eine Wortneuschöpfung, dies sei erst einmal vorangestellt. Dabei soll deutlich werden, dass wir als Handwerkskammer in jedem Fall Lösungen und Ansätze zum Thema „Strategische Personalentwicklung“ bieten sollten. Da der Fachkräftemangel in vielen Gewerken zu spüren ist, können wir kaum guten Gewissens von einer rein proaktiven Beratung sprechen, denn diese hätte – rein auf die Fachkräftesicherung bezogen – schon vor einigen Jahren anlaufen müssen. Die Bedeutung des Themas „Strategische Personalentwicklung“ ist jedoch für viele Handwerksbetriebe erst durch den Fachkräftemangel interessant und vor allem vermittelbar geworden.
Die Idee zur „Beratung Reproaktiv“ entwickelte sich aus dem Projekt „Integrierte Kompetenzentwicklung im Handwerk“ (In-K-Ha) heraus. Im Grunde wurden die im bisherigen Verlauf des Projekts gefundenen und umgesetzten Beratungsstrategien in unserem Konzept „ Beratung Reproaktiv“ zusammengefasst. Wenn man die Betriebe wirklich erreichen und den Nutzen von strategischer Personalentwicklungsarbeit zeigen möchte, muss man aktiv auf sie zugehen und ihnen einen sehr konkreten Nutzen aufzeigen. Dies gelingt nur, wenn man die Inhaber da abholt, wo sie beim Thema „Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterbindung“ gerade stehen.

Frau Bauer, was hat Sie an dem Konzept überzeugt?

avatar1 Frau Bauer: Wir haben uns gefreut, das Projekt auszuzeichnen. Das Konzept beinhaltet, wie Frau Wiemers beschrieben hat, unterschiedliche Phasen, in denen Unterstützungsleistungen erfolgen können. Der Ansatz der proaktiven Beratung ist hier noch weitergedacht worden ist. Zudem wurden gewinnbringende Lösungen zum Personal- und Kompetenzmanagement bei Handwerksbetrieben erarbeitet.
Das Beratungskonzept Reproaktiv ist vom Kompetenz- und TransferZentrum FitDeH ausgezeichnet worden für proaktive Betriebsberatung mit Vorbildcharakter.

Inwieweit beobachten Sie veränderte Anforderungen an die Betriebsberatung der Handwerksorganisationen?

avatar1 Frau Wiemers: Die Beratungsthemen werden umfassender und komplexer, auch zu Personalfragen. Viele Inhaber sind verunsichert, wenn einer ihrer Mitarbeiter z. B. wegen vermeintlicher Kleinigkeiten oder höheren Lohnforderungen kündigt. Personalführung ist bisher, durch die handwerklichen Strukturen bedingt, nie ein übergeordnetes Thema gewesen. Für Schwierigkeiten mit Auszubildenden gibt es die Ausbildungsberater. An wen kann sich jedoch ein Handwerkmeister wenden, wenn er feststellt, dass er Probleme mit den Mitarbeitern hat oder Aufträge nicht abarbeiten kann, weil Personal fehlt oder Abläufe suboptimal sind?

Und Sie Frau Bauer – welche Trends können Sie ablesen?

avatar1 Frau Bauer: Die Unterstützungspartner des Handwerks sind immer noch eine zentrale Stelle, die handwerksorientiertes Wissen und handwerkstaugliche Werkzeuge zur Verfügung stellt bzw. an die Betriebe vermittelt. Wir stellen aber fest, dass die Beratungsthemen immer vielfältiger werden. Die Auseinandersetzung mit neuen Beratungsthemen hängt deshalb in zunehmendem Maße von der Möglichkeit einer schnellen Einarbeitung ab, daher erweitern wir die Angebote von FitDeH dahingehend laufend.

Was ist für Sie gute Betriebsberatung?

avatar1 Frau Wiemers: In einer guten Betriebsberatung sollten die Bedarfe gründlich aufgedeckt und die Unternehmer entsprechend unterstützt werden. Das heißt: Gute Betriebsberatung sollte sich verändernde Herausforderungen und Perspektiven aufzeigen, gerade bei „neuen“ und „weichen“ Themen wie Kompetenzentwicklung und Mitarbeiterführung. Es ist für mich auch wichtig, auf Kollegen zu verweisen oder zurückgreifen zu können, wenn es z. B. um Rechtsfragen oder Fragen zur Ausbildung geht. Frau Bauer: Das sehe ich auch so. Die Zukunft liegt in der stärkeren Kooperation von Beratergruppen. Dies versuchen wir – beispielsweise durch die regionalen Netzwerke der Offensive Mittelstand – zu fördern.

Wie setzen Sie diesen Anspruch in Reproaktiv um?

avatar1 Frau Wiemers: Da kann ich am besten von einem Betriebsbeispiel berichten. Der Unternehmer von einem Metallbaubetrieb mit zwei Mitarbeitern sah sich gezwungen, aufgrund der Unzuverlässigkeit einem seiner Mitarbeiter zu kündigen. Durch mehrere Gespräche, die wir vor Ort geführt haben, konnte sich das Inhaberehepaar mit dem Mitarbeiter wieder besser verständigen und eine Einigung wurde möglich. Die Inhaber haben von sich aus um Beratung gebeten und ich konnte schon im Erstgespräch Mitarbeitergespräche anregen. Als Beraterin hatte ich einen Gesprächsleitfaden dabei, der diesem Mitarbeitergespräch angepasst war. Ich konnte dann als Mediatorin zwischen den Inhabern und dem Mitarbeiter vermitteln. Auf Kammerebene musste in diesem Fall zwischen den Beratern „interdisziplinär“ gearbeitet werden. Das Inhaberehepaar wurde von unserem Hausjuristen arbeitsrechtlich beraten. Zudem hat ein Ausbildungsberater auf meine Anregung hin eine Beratung durchgeführt. Hintergrund war, dass der Mitarbeiter keine abgeschlossene Berufsausbildung hat. Im begleiteten Mitarbeitergespräch wurde vereinbart, dass der Mitarbeiter seine Gesellenprüfung nachholt. So können beide Seiten an der Verbesserung der Situation arbeiten.

Haben Sie einen Tipp für den Erfolg von Beratungskonzepten/Projekten zur proaktiven Betriebsberatung?

avatar1 Frau Wiemers: Unter proaktiv verstehe ich, seitens der Beratung aktiv auf Betriebe zuzugehen. So war es für die Arbeit in diesem Projekt notwendig und das wird es sicherlich noch eine Weile bleiben. Die Betriebe erkennen ihren Beratungsbedarf zum Thema „Fachkräfte“ oft nicht und wenden sich daher nicht an die Berater der Handwerkskammerammer. Wir werden auch nicht mit einer fertigen Fachkraft vor der Tür stehen. Aber zwischen „gar keiner Unterstützung“ und dem „Mitarbeiter nach Maß“ gibt es eine breite Palette an Möglichkeiten, die man den Betriebsinhabern in der Beratung aufzeigen kann. Mit „In-K-Ha“ und „Beratung Reproaktiv“ erweitern wir die Palette an Personalstrategien maßgeschneidert für Handwerksbetriebe.

Welchen Nutzen bietet das Kompetenz- und TransferZentrum FitDeH?

avatar1 Frau Bauer: Unser Ziel ist es, die Berater bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Das reicht vom Angebot verschiedener Werkzeuge und digitaler Formate über Seminare hin zur jährlichen FitDeH Fachkonferenz. Im Fokus stehen immer die Aufbereitung der relevanten Zukunftsthemen und die Förderung von Kooperationen – innerhalb des Handwerks und darüber hinaus. Frau Wiemers: Es ist wichtig, sich zum Thema „Fachkräftesicherung“ gut zu vernetzen, um Wissen und Informationen weiterzugeben und erhalten zu können. In der Beratung der Betriebe zeigt sich immer deutlicher, dass Bedarf da ist, wenn man ihn auch erst einmal sichtbar machen und dementsprechende Lösungen anbieten muss. Das Netzwerk ist sicher sehr hilfreich dafür, sich über mögliche und erfolgreiche Lösungsansätze auszutauschen.

Ganz herzlichen Dank und weiterhin viel Erfolg!

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